Feb 092024
 

Anfang der 50iger Jahre kam von der deutschen Schule in Barcelona der Musiklehrer Alwin Krumscheid an die Liebigschule. Krumscheid war nach dem Spanischen Bürgerkrieg und während des 2. Weltkrieges Lehrer im Francoreich und hatte viele Freunde in Spanien. Widerholt sprach er von seinen „Intimos“.

Er gründete 1952 ein Schülerorchester. Es waren anfangs 14 Musiker, 12 Streicher (Violinen), ein Cellist und ein Klavierspieler. Geübt wurde in der Aula.

Das „Gründungsorcherster“ 1952

Im Laufe der folgenden 3 Jahre kamen ein Flötist, ein Cellist, ein Kontrabassist, ein Trompeter und ein Pauker dazu. Auch Krumscheids heimliche Aktivitäten waren so weit gediehen, daß er 1955 von einer Spanienreise sprach. Die erste Reise fand in den Herbstferien vom 4. – 18. Oktober 1955 statt. Woher er für die Reise zu seine „Intimos“ einen erheblichen finanziellen Zuschuß organisiert hatte, wußten wir nicht, denn unsere Eigenanteile waren sehr bescheiden.

Mit dem Bus ging die Fahrt am 1. Tag von Gießen nach Belfort. Von Gießen bis südlich Karlsruhes bei Ettlingen gab es die Vorkriegsautobahn. Ab dort in Richtung Mühlhausen und weiter in Frankreich waren noch keine Autobahnen gebaut.  Da der Bus relativ schwach motorisiert war, war die Fahrt über die Land-straßen nur ca.15 km/h langsamer. – In Belfort übernachteten wir in der Jugendherberge. Am nächsten Morgen waren wir von Flöhen zerstochen.

Am 2. Tag sind wir früh aufgestanden, denn für die ca. 600 km lange die Fahrt nach Avignon waren 10 -12 Stunden geplant. Erschöpft trafen wir zum Übernachten in einem Kloster ein. Auch hier hatten uns nachts „Haustiere“ gestochen, weniger als in Belfort.

Der 3. Reisetag führte uns über die Pyrenäen, dort lag noch Schnee, nach Barcelona. Untergebracht waren wir in einem Studentenheim. Es waren noch Semesterferien und keine Studenten im Heim und keine „Haustiere“. Der erste abendliche Besuch in einer nahen gelegenen Bodega überraschte uns mit den Preisen. Ein Viertelliter Rotwein kostete 10 Pfennig (ca. 5 Cent). Auch die Essenspreise erschienen uns spottbillig.

Ein Höhepunkt in Barcelona war der Empfang unseres Orchesters beim Magistrat im Rathaus der Stadt. Bevor wir zum Konzert aufspielen konnten, gab es zur Begrüßung spanische Alkoholika, die wir nicht kannten, die aber sehr gut schmeckten.- Weil Barcelona in der Provinz Katalonien liegt, hatte unser Musiklehrer mit uns den katalanischen Nationaltanz, die Sardana, eingeübt. Als Kontrast konnten wir auch den Donauwalzer spielen. Beide Stücke spielten wir vor dem Magistrat.- Unser Pauker war noch relativ jung und ihm müssen die Begrüßungsgetränke nicht gut bekommen sein, denn sie kamen zurück, aber wohin? In seiner Not drehte er die kleine Trommel um und vermied die Verschmutzung des Marmorbodens. – Ein weiteres Konzert gaben wir im Schulhof der ehemaligen Schule von StR Krumscheid. Der Wind hatte meine Noten vom Pult geweht, ein „spanischer“ Schüler gab sie mir zurück. Wir trafen uns 1960 wieder, und zwar als Verbindungsbrüder in der Akademischen Verbindung Palato Sinapia in Karlsruhe. Ich hatte von der damaligen Orchesterreise erzählt. Der vermutete „spanische“ Schülererinnerte sich, er war Deutscher, seine Eltern waren vor 1933 nach Barcelona ausgewandert.

Weil wir am Mittelmeer waren, wollten wir darin schwimmen. Wir gingen an den viel besuchten Strand in Barceloneta, aber weil es bereits Oktober war, waren keine Badende zu sehen. Weit entfern spielten Kinder Fußball am Strand. Hinter umgedrehten Fischer-booten zogen wir uns um. Plötzlich stand ein Polizist bei uns und versuchte uns gestenreich- durch permanentes deuten in Richtung der spielenden Kinder – klar zu machen, daß wir uns unsittlich verhalten. Am Abend erklärte uns Herr Krumscheid die strengen Moralbegriffe im katholischen Spanien und warnte, jungen Frauen und Mädchen keine Aufmerksamkeiten zu zeigen, weil der Bruder mit dem Messer über sie wacht.

Ein besonderer Höhepunkt war der Besuch einer Fiesta. Ca. 20.000 Besucher füllten die 1914 eröffnete Stierkampfarena „La Monumentale“. Bei einer Fiesta werden 6 Stierkämpfe gezeigt.  – Es war ein warmer, sonniger Herbsttag und wir saßen mitten unter den enthusiastisch-engagagierten Spaniern. Viele hatten eine „Bota“, einen aus Ziegenleder gefertigten Beutel mit Spritzverchluß, dabei, aus dem sie sich mit ausgestreckten Armen einen Strahl Rotwein in den Mund spritzten. Auch wir durften es versuchen. –

Bei einer Fiesta werden normalerweise 6 Stierkämpfe gezeigt. Weil aber an unserem Besuchstag der Generalissimus Franco anwesend war, wurden ihm zu Ehren 8 Stiere getötet.  Das Publikum begleitete jede Aktion, ob Picador (Lanzenreiter), Torero mit2 Banderillas (Holzstöcke mit Widerhaken und Bändern) oder den Torero beim finalen Akt mit lautem Beifall oder lauten Buhs und anhaltenden Pfiffen. Je nach Qualität seiner Vorstellung „opfert“ zum Schluß der Torero den Stier dem Publikum, indem er seine Cappa in den Sand wirft. Am nächsten Tag kann man mit der Eintrittskarte auf dem Markt Stierfleisch abholen.

Wir machten einen Tagesausflug nach Valencia. Entlang der historischen Küstenstraße fuhren wir nahe den Stränden der Costa Brava, Costa Garaff, Costa Daurada Richtung Valencia. In Tarragona besichtigten wir den Römischen Zirkus (ca. 23.000 Besucher, ca. 300 x 100 m) aus dem 1. Jht. und das römische Amphitheater (ca. 15.000 Besucher) aus dem 2. Jht. Den nächsten Stopp hatten wir in Vinaros, ca. 130 km nördlich von Valencia beim Denkmal von Erzbischof „Costa i Borras“, das nahe am Hafen stand. – In Valencia besuchten wir die Altstadt und besichtigten die Kathedrale und die Seidenbörse. Auf der Rückfahrt waren wir wieder von der landschaftlichen Schönheit und den malerischen Fischerdörfern begeistert.

Bei Barcelona gibt es 2 Hausberge, den Montjuic und den Tibidabo. Wir fuhren mit der Zahnradbahn auf den Tibidabo. Sie klettert mit ca. 25% Steigung auf 500 m über NN. Auf dem Gipfel hat man einen wundervollen Panoramablick auf Barcelona, dahinter das Mittelmeer. Oben fällt sofort der Blick auf eine Baustelle. Es soll eine Kirche werden, die eine wegen der Kuppelformen gewisse Ähnlichkeit zur Basilika Sacre Ceur in Paris bekommen soll. Seit Anfang des 20. Jhts. besteht auf dem Gipfel ein ca. 7 ha großer Freizeitpark. Es sind die üblichen Fahrgeschäfte für die unterschiedlichen Aktivitäten aufgebaut.

Basilika „Sagrada Familia“

Nachhaltig im Gedächtnis vom Stadtbesuch in Barcelona blieb die noch im Bau befindliche Basilika „Sagrada Familia“. Der Bau der römisch- katholischen Basilika wurde 1882 begonnen.  Es ist ein imposantes und in Barcelona das spektakulärste Bauwerk, das mit Spenden, Stiftungen und Eintrittsgeldern finanziert wird. Es hat keinen erkennbaren Baustil und viele Verzierungen.  Wann es fertig sein wird, konnte nicht gesagt werden. Die Basilika soll 18 Türme bekommen, der zentrale Turm soll über 170 m hoch werden. Die Türme sind den 12 Aposteln – außer Judas – und den Evangelisten gewidmet und haben Höhen von 90, 112 und 125 Meter. Der Gebäudegrundriß ist ein Kreuz, das aus einem 5-schiffigen Längsbau von 90 m mit 60 m Breite  (Hauptschiff 30 m und 4 Nebenachsen je 7,5 m) sowie einem 3-schiffigen Querbau von 60 m Länge und 30 m Breite (Hauptquerschiff 15 m und 2 Seitenschiffen mit je 7,5 m ) besteht. Die Innenhöhen betragen im Haupt- und Querschiff 45 m, in den Seitenschiffen 30 m.

Die Rückreise nach Gießen dauerte wieder 3 Tage mit Übernachtungen wie bei der Hinreise in Avignon und Belfort und auch wieder mit der Bekanntschaft der „Haustiere“.

Verfaßt von Rainer Böhm

Vellmar, im Februar 2024

Mitglied im Schülerorchester ab 1952, Klasse UII2 (Untersekunda 2) bis zum Abitur in OI2 (Oberprima 2) 1958

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